Paradoxa und Teufelskreise

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Paradoxa und Teufelskreise

Dr.-Ing. Jörg Priese

Ein Paradoxon ist ein schein­bar wider­sprüch­li­ches und uner­war­te­tes Ereignis. Nicht erkann­te Paradoxa füh­ren unter Umständen zu Reaktionen, die ein Problem lösen soll­ten, es aber tat­säch­lich ver­stär­ken. Ein Teufelskreis entsteht!

Das Leistungsparadoxon

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Abbildung 1: Teufelskreis des Auftragswachstums

Stellen Sie sich vor, die Umsätze und Ergebnisse eines Unternehmens sind unbe­frie­di­gend. Aber ein neu­er Markt wur­de erschlos­sen und der Auftragseingang steigt. Sie freu­en sich auf bes­se­re Zeiten. Dem Drängeln des Managements nach mehr Personal wur­de nach­ge­ge­ben, doch Umsatz und Ertrag blei­ben unbe­frie­di­gend. Dies sind Anzeichen für den Teufelskreis des Auftragswachstums.

Jeder Auftrag wird schnellst­mög­lich begon­nen. Die Mitarbeiter sprin­gen von einem Auftrag zum nächs­ten, wer­den stän­dig unter­bro­chen und schaf­fen es nie, eine Aufgabe voll­stän­dig zu erle­di­gen. Multitasking in Reinform. Jeder Wechsel von einer Tätigkeit zur nächs­ten ver­braucht Zeit für „geis­ti­ges Umrüsten“. Unterlagen müs­sen gesucht wer­den, neu­es Eindenken ist erfor­der­lich, Emails wer­den mehr­mals erle­digt. Die Effizienz sinkt. Insbesondere die Engpässe wer­den davon betrof­fen sein, da sich dort die Aufgaben stau­en (Abbildung 1).

Kapazitätserhöhungen in Nicht-Engpässen kön­nen den Teufelskreis ver­stär­ken (Abbildung 2). Der Engpass „ertrinkt“ in Arbeit, da jetzt nicht nur mehr Aufträge im Unternehmen sind, son­dern die­se auch noch schnel­ler durch die opti­mier­ten, vor­ge­la­ger­ten Abteilungen zum Engpass gelangen.

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Abbildung 2: Teufelskreis der Kapazitätserhöhungen

Das Durchlaufzeitparadoxon

Stellen Sie sich vor, die Termintreue ist schlecht. Der Vertrieb drängt bei jedem Auftrag auf einen frü­hen Start und die Plandurchlaufzeiten wer­den erhöht. Sicher ist sicher. Leider wird die Situation nicht bes­ser. Kurz vor Auslieferung ist noch viel Arbeit zu erle­di­gen. Der Liefertermin ist gefähr­det. Wie durch eine magi­sche Hand wur­den aus Plandurchlaufzeiten benö­tig­te Durchlaufzeiten. Sie befin­den sich im Teufelskreis der Planung und Steuerung (Abbildung 3).

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Abbildung 3: Teufelskreis der Planung und Steuerung

Die Erklärung für die­sen Teufelskreis liegt in der Formel der Durchlaufzeit:dlzDie Summe der Bearbeitungszeiten sind die Zeiten, an denen wert­schöp­fend an einer Aufgabe gear­bei­tet wird. Bei der Fertigung von Drehteilen, sind es die Zeiten, in denen Späne fal­len. Beim Schreiben eines Artikels, ist es die Zeit, in der Wörter in den Rechner getippt werden.

Liegezeiten sind alle Zeiten in denen die Aufträge auf die Bearbeitung war­ten. Der wesent­li­che Einflussfaktor auf die Liegezeiten ist der Umlaufbestand. Je höher die Bestände, des­to län­ger sind die Warteschlangen und damit die Durchlaufzeiten. Verstärkt wird der Teufelskreis, wenn die hohen Umlaufbestände Multitasking und Ineffizienzen ver­grö­ßern. Dann wach­sen nicht nur die Warteschlangen, zusätz­lich wer­den die Bearbeitungszeiten län­ger (Abbildung 4).

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Abbildung 4: Erweiterter Teufelskreis der Planung und Steuerung

Das Terminkontrollparadoxon

Wenn sich jeder im Unternehmen an sei­ne Termine hal­ten wür­de, hät­ten wir kei­ne Probleme. Terminverzug ist kein Problem des Systems, son­dern das Problem sind unzu­ver­läs­si­ge Mitarbeiter. Termine sind stren­ger und nach­hal­ti­ger zu ver­fol­gen. Schulungen und die Einführung neu­er Terminverfolgungswerkzeuge sind notwendig.“ 

Unterstützt wird dies durch ent­spre­chen­de Bonuswerkzeuge. Häufig wird genau das Gegenteil erreicht. Terminverzug nimmt zu und Durchlaufzeiten stei­gen. Auch dahin­ter steckt ein Teufelskreis (Abbildung 5).

Wie reagiert ein Mitarbeiter, der sich für jede Terminüberschreitung recht­fer­ti­gen muss? Niemand will für den Terminverzug ver­ant­wort­lich sein. Jeder ver­sucht sei­ne Termine zu hal­ten. Aber Kunden ändern ihre Wünsche, Teile kom­men zu spät, tech­ni­sche Probleme tre­ten auf, Mitarbeiter wer­den für drin­gen­de­re Aufgaben abge­zo­gen. Leider sind die­se Ereignisse nicht prognostizierbar.

Schlechte Erfahrungen der Vergangenheit wer­den bei Durchlaufzeitberechnungen mit berück­sich­tigt. Insbesondere in Projekten ent­ste­hen so Sicherheitspuffer in jedem Projektschritt. Die Folge sind ver­län­ger­te Plandurchlaufzeiten und schon befin­den Sie sich im bereits bekann­ten Teufelskreis der Planung und Steuerung.

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Abbildung 5: Teufelskreis der Terminkontrolle

Es kann ein ver­stär­ken­der Effekt auf­tre­ten. Im Gegensatz zur Termintreue ist es häu­fig nicht mög­lich, Qualitätsprobleme unmit­tel­bar zu erken­nen. Ob eine Zeichnung wirk­lich passt, ist erst in der Anlage nach­weis­bar. Auch Programmcode oder Rezepte zur Produktion von che­mi­schen Stoffen wer­den erst in der Endphase eines Projektes zu 100% über­prüf­bar. Steigt die Kontrolle von Zwischenterminen, kann die Termintreue wich­ti­ger als die Qualität wer­den. Abbildung 6 zeigt den erwei­ter­ten Teufelskreis der Terminkontrolle.

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Abbildung 6: Erweiterter Teufelskreis der Terminkontrolle

Das Pufferzeitparadoxon

Murphy wird nicht immer zuschla­gen. Es wird nicht immer alles schief­ge­hen, was schief­ge­hen kann. Trotzdem liegt das Projekt nicht vor dem Zeitplan, obwohl in jedem Projektschritt Pufferzeiten vor­han­den sind.

Eine Ursache liegt in der Auswirkung des Multitaskings. Ihre Mitarbeiter brau­chen den Puffer. Abbildung 7 zeigt einen ein­fa­chen Fall. Sie haben drei Projekte zu bear­bei­ten. Dreiecke, Kreise und Vierecke. Jedes Projekt benö­tigt drei Arbeitstage. Rückfragen aus allen Bereichen, Prioritätsänderungen, feh­len­de Informationen und per­sön­li­che Vorlieben zwin­gen Sie zu stän­di­gen Wechseln zwi­schen den Projekten. Aus geschätz­ten drei Tagen wer­den 6 Tage Durchlaufzeit. Verschlimmert wird die Situation durch das bereits beschrie­be­ne „geis­ti­ge Umrüsten“ bei jedem Wechsel zwi­schen den Aufgaben.

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Abbildung 7: Auswirkung von Multitasking auf die Durchlaufzeit
Weitere Gründe, war­um Aufgaben trotz Puffer nicht vor der geplan­ten Zeit abge­schlos­sen wer­den, lie­gen in zwei psy­cho­lo­gi­schen Phänomenen: Prokrastination und Parkinsons Law.Prokrastination beschreibt das Verschieben von Arbeiten in die Zukunft. Goldratt hat die­ses Phänomen Studentensyndrom genannt. Ein Student weiß, dass am Ende des Semesters eine Prüfung ansteht und er könn­te unmit­tel­bar mit dem Lernen begin­nen. Doch vie­le ange­neh­me­re Tätigkeiten hal­ten ihn davon ab.

Der Soziologe C. Northcote Parkinson stell­te den iro­ni­schen Lehrsatz auf, dass sich Arbeit immer in dem Maße aus­dehnt, in dem die­ser Arbeit Zeit zur Verfügung gestellt wird. Unabhängig von der Komplexität der Aufgabe. Sein Untersuchungsobjekt war die bri­ti­sche Verwaltung. Je mehr Zeit jemand zur Erledigung bekom­men hat, des­to mehr Zeit wur­de benötigt.

Studentensyndrom sowie Parkinsons Law wer­den durch eine har­te Kontrolle von Zwischenterminen ver­stärkt. Deutlich vor der Zeit fer­tig zu wer­den birgt die Gefahr, im nächs­ten Projekt weni­ger Zeit zu bekom­men. Man hat ja bewie­sen, dass es geht. Aber es gibt kei­ne Sicherheit, dass es wie­der so rei­bungs­los lau­fen wird. Also lässt man die Arbeit erst­mal lie­gen. Es ist ja noch Zeit genug. Als die Arbeit end­lich begon­nen wird, kommt ein drin­gen­der Auftrag dazwi­schen und der eigent­lich unkri­ti­sche Termin wird überzogen.

Auswege aus den Teufelskreisen

Es gibt einen Hebel zur Unterbrechung der Teufelskreise, die Reduzierung des Umlaufbestandes:

— Die Leistung des Unternehmens wird durch den Engpass bestimmt. Eine Reduzierung des Multitaskings führt zu einer Steigerung der Leistung. Multitasking wird durch die Anzahl der zu bear­bei­te­ten Aufträge beeinflusst.

— Die Durchlaufzeit steht in Relation zu den im Umlauf befind­li­chen Aufträgen. Sinkt der Umlaufbestand sin­ken die Durchlaufzeiten.

— Die Termintreue wird durch eine Reduzierung des Multitaskings und der Warteschlangen verbessert.

— Eine Reduzierung der Sicherheitspuffer in den ein­zel­nen Arbeitsschritten ver­hin­dert das Studentensyndrom.

Die Reduzierung des Umlaufbestandes hat somit eine dop­pelt posi­ti­ve Wirkung auf die Durchlaufzeiten. Warteschlangen wer­den ver­rin­gert und damit redu­ziert sich die Wartezeit für jeden Auftrag. Zusätzlich haben die Mitarbeiter jetzt die Möglichkeit, effek­tiv zu arbei­ten. Unterbrechungen auf­grund der Auftragslast wer­den ver­rin­gert und mit den Ressourcen kann kon­zen­triert an weni­gen Projekten gear­bei­tet wer­den ( Nutzung des Hafenmeisterprinzips! ).

Brauchen Sie Unterstützung bei der Analyse vor Ort oder haben Interesse an mehr Informationen? Priese Consulting steht Ihnen zur Verfügung.

Posted in: Denkansätze
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