Das Hafenmeisterprinzip
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Senken Sie Ihre Durchlaufzeiten mit einfachen Mitteln!
Dr.-Ing. Jörg Priese
Abbildung 1: Vorteile durch das Hafenmeisterprinzip
Stellen Sie sich einen alten knorrigen Hafenmeister vor. Drei Schiffe liegen vor der Kaimauer und drei grimmige Kapitäne drängen auf die Entladung ihrer Schiffe. Jeder Tag im Hafen ist teuer. Die Kapitäne verdienen nur Geld, wenn sie auf hoher See sind. Der Hafenmeister kennt solche Situationen seit Jahren. Er will in erster Linie seine Ruhe haben. Deswegen teilt er seine erfahrenen Entlader gleichmäßig auf die drei Schiffe auf. Die Kapitäne sind besänftigt, und nach 3 Stunden kann jedes Schiff hinaus aufs Meer. Jeder ist zufrieden, nur der Reeder nicht, der das Vorgehen beobachtet. Einen wütenden Anruf später, sitzt er mit dem Hafenmeister an einem Tisch und erarbeitet ein neues Vorgehen.
Es wird beschlossen, dass zukünftig alle Entlader zusammen auf ein Schiff gehen und dieses komplett entladen, bevor sie auf das nächste Schiff wechseln. Anschließend wird Schiff zwei komplett entladen und erst dann Schiff drei. Der Arbeitsaufwand für die Entladung bleibt identisch, aber proportional zur Erhöhung der Entladekapazität sinkt die Entladedauer. Die Vorteile für den Reeder liegen auf der Hand. Das erste Schiff verlässt 2 Stunden früher den Hafen. Schiff 2 ist eine Stunde eher auf hoher See und Schiff 3 nicht später als zuvor.
Natürlich ist das beschriebene “Hafenmeisterprinzip” idealisiert dargestellt. Das Ertragsgesetz und die Produktionsfunktion begrenzen die Linearität von Aufwandserhöhung und Zeitersparnis. Aber meine Erfahrung zeigt, dass dieses einfache Prinzip richtig umgesetzt enormes Potenzial beinhaltet. Ich entwickelte diese Metapher zur Verdeutlichung von Möglichkeiten zur Reduzierung von Umrüstzeiten in der Chemieindustrie.
Die Rüster waren Spezialisten und erbrachten Ihre Dienstleistung an mehreren Anlagen. Rüst- und Umbauarbeiten dauerten durchschnittlich 4 Wochen und das Rüstteam war ständig auf mehreren Anlagen aufgeteilt. Die Nutzung des Hafenmeisterprinzips, und damit die Konzentration aller verfügbaren Rüster auf eine Anlage, sorgte unmittelbar für mehr freie Produktionskapazität, und dass ohne Investitionen! Für das Chemieunternehmen bedeutete dies ein Umsatzpotenzial von mehreren Millionen Euro.
Abbildung 2: Grenzen des Hafenmeisterprinzips
Das Hafenmeisterprinzip und dessen Potenziale erscheinen so offensichtlich, dass es fast unerklärlich ist, dass es nicht konsequent genutzt wird. Häufig liegt der Grund im falschen Managementsystem. Die Produktivität ist oberster Bewertungsmaßstab der Führung. Es muss sichergestellt werden, dass jeder Mitarbeiter durchgehend ohne Unterbrechung beschäftigt ist. Effizienz wird damit wichtiger als Effektivität. Höchste Produktivität des einzelnen Entladers ist jedoch nicht das Ziel des Hafenmeisters, sondern eine möglichst kurze Verweildauer der Schiffe. Nehmen wir an, durch die Entladung im Team verlängert sich die Entladezeit um 10%. Schiff 1 verlässt somit erst nach 66 Minuten den Hafen. Schiff 2 folgt nach 132 Minuten und Schiff 3 nach 198 Minuten. In Summe gewinnt der Reeder noch immer 144 Minuten auf hoher See.
Vielfach lässt sich das umgekehrte Phänomen erkennen. Üblicherweise existieren Engpassressourcen, die nur kurze Zeit während der Aufgabenbearbeitung benötigt werden. Beispielsweise ein Spezialkran zur Entladung hochsensibler Güter. Dieser muss bei paralleler Entladung allen Schiffen zur Verfügung stehen und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dies zu Wartezeiten führt. Bei sequenzieller Entladung werden Engpassressourcen konzentriert eingesetzt und Wartezeiten minimiert.
Ein weiterer Grund, der die Einführung des Hafenmeisterprinzips verhindert, ist die Devise, möglichst früh mit Aufgaben zu beginnen. Offene Baustellen, die warten, kann das Management nicht ertragen und man glaubt, wer früher beginnt wird früher fertig. Die Folgen sind Suboptimierung, eine hohe Anzahl parallel laufender Projekte und Ressourcensplitting. Die betroffenen Abteilungen versuchen es jedem Recht zu machen und versinken im Multitasking. Sie verschwenden ihre wertvolle Zeit. Wenn diese Abteilungen Engpässe darstellen, verliert das Unternehmen Umsatz und Rendite.
Abschließend ist ein weiteres Phänomen für die Missachtung des Hafenmeisterprinzips zu nennen. Die Termingläubigkeit. Wenn ein Zeitplan aufgestellt ist, wird jeder an der Einhaltung seiner Termine gemessen. Stürme und hoher Seegang führen zwar immer wieder zu Verspätungen, aber wenn das Einlaufen um 7 Uhr geplant war, wird Punkt 7 Uhr ein Entlader bereitgestellt. So sichert sich der Hafenmeister ab, nicht Schuld am zu späten Auslaufen zu sein. Und sollte das Schiff tatsächlich um 7 Uhr einlaufen und ist aus irgendeinem Grund noch nicht bereit zur Entladung, wird der Entlader trotzdem nicht weggeschickt, da der Kapitän befürchtet, keinen neuen zu bekommen. Ein Abschied von diesen Paradigmen und Managementprinzipien ermöglicht die erfolgreiche Umsetzung des Hafenmeisterprinzips.
Die unmittelbaren Ergebnisse nach Einführung des Hafenmeisterprinzips sind kürzere Durchlaufzeiten, Reduzierung von Multitasking und damit eine Erhöhung der Produktivität. Daneben wird sich der Planungs- und Steuerungsaufwand reduzieren, da der Fokus auf weniger parallel laufende Projekte gelegt werden kann. Weitere Potenziale liegen in der Einführung von Teamarbeit. Die Organisation wird lernfähiger. Expertenwissen wird im Team verteilt und die Ausbildung neuer Mitarbeiter beschleunigt sich. Damit werden Engpässe entlastet und Wartezeiten vermieden. Nicht zuletzt erhöht sich die Flexibilität bei ungeplanten Ausfällen von Mitarbeitern, da im Team die Aufgaben besser aufgefangen werden.
Abbildung 3: Umsetzungsstrategie
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